Sechs Monate Deutschlandticket – BSN zieht Halbjahresbilanz und wagt Ausblick
Berliner Bahngespräche thematisierten Herausforderungen und Fortführung des Deutschlandtickets
Die Referentinnen und Referenten bei den Berliner Bahngesprächen des Bundesverbands SchienenNahverkehr (BSN), die gestern bereits zum 17. Mal stattfanden, zogen sechs Monate nach der Einführung des Deutschlandtickets eine Zwischenbilanz. Zudem wurde basierend auf den Ergebnissen der Ministerpräsidentenkonferenz der vergangenen Woche ein Ausblick in die Zukunft der Tarifrevolution gewagt. Auf dem parlamentarischen Abend in der Hessischen Landesvertretung diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von Bund, dem Bundesland Hessen und aus der Wirtschaft gemeinsam mit dem BSN.
Zu Beginn der Veranstaltung stellte BSN-Vizepräsident Kai Daubertshäuser heraus, dass die gesamte ÖPNV-Branche durch die andauernde Hängepartie rund um die Finanzierung des Tickets massiv belastet sei: „Der SPNV kann die zusätzlichen Risiken aus einem politisch gewollten Tarif nicht allein tragen. Denn nach wie vor steht die Antwort aus, wie das Deutschlandticket dauerhaft finanziert und weiterentwickelt werden soll. Sowohl die Verkehrsunternehmen auf Schiene und Straße als auch die Aufgabenträger benötigen aber dringend fiskalische und planerische Sicherheit.“
Susanne Henckel, Staatssekretärin beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr, ging in ihrem Impulsvortrag auf die Sicht des Bundes ein. Dabei bezeichnete sie das Deutschlandticket als gewaltigen Schritt für den ÖPNV und große Herausforderung für die gesamte Branche. Nach der Ministerpräsidentenkonferenz hätten nun die Länder die Aufgabe für 2024 und die folgenden Jahre ein tragfähiges Konzept zur Finanzierung zu entwickeln. Da sei noch viel Musik drin, sagte sie und meinte damit insbesondere die Chancen der Digitalisierung im ÖPNV. Zur gesicherten Fortführung des Deutschlandtickets ab dem 1. Mai 2024 habe bereits eine Arbeitsgruppe auf Ebene der Staatssekretäre von Bund und Ländern damit begonnen, ein Konzept zu entwickeln.
Die Erkenntnisse der Länder präsentierte im Anschluss der Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Jens Deutschendorf. Für ihn sei das Ticket eine große Leistung aller Beteiligten. Jedoch seien noch viele Fragen offen, wie beispielsweise die Einnahmeaufteilung. Zuerst müsse aber die dauerhafte Finanzierung gesichert werden. Hier hätten 16 Bundesländer vereint auf der Ministerpräsidentenkonferenz ein gutes Angebot präsentiert, für das der Bund leider nicht gewonnen werden konnte. Nun seien aus seiner Sicht erneut die Länder gefordert, eine Grundlage zur Fortführung des Tickets zu schaffen. Dafür sei neben der Gewinnung von Neukundinnen und -kunden, die Einbindung des Semestertickets, Effizienzgewinne durch Digitalisierung sowie eine Harmonisierung der Tariflandschaft notwendig.
Die Sicht der Unternehmen stellten anschließend Christiane Leonard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen e. V. und Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. vor.
Christiane Leonard stellte als besondere Herausforderung für das mittelständisch geprägte Busgewerbe heraus, dass nach wie vor viele rechtliche Fragen noch nicht geklärt seien. Vor allem offene Fragen zur Haftung würden die Branche belasten. Nach den Ergebnissen der Ministerpräsidentenkonferenz bestünden aus ihrer Sicht lediglich zwei Optionen zur Sicherstellung einer auskömmlichen Finanzierung des Deutschlandtickets nach dem 1. Mai 2024: Entweder übernähmen die Länder eine Nachschusspflicht oder der Preis für das Ticket müsse im kommenden Jahr erhöht werden.
Alexander Möller hingegen stellte heraus, dass das Deutschlandticket nun auch um ein „Deutschland-Angebot“ ergänzt werden müsse. Die Branche hingegen habe die Aufgabe den Vertrieb zu vereinfachen, indem sie insbesondere die Digitalisierung vorantreibe. Dafür werde jedoch auch Mut der politischen Entscheider in den Aufsichtsräten der Verkehrsverbünde benötigt. Eine vollständige Überarbeitung der Tariflandschaft sei zudem geboten, setze aber mehr Zeit und eine verlässliche Finanzierung des Deutschlandtickets voraus.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurde dann lebhaft darüber diskutiert, wie dauerhaft mehr Fahrgäste gewonnen werden können und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit verbessert werden kann. Nur so sei sichergestellt, dass das Ticket zu einem langfristigen Erfolgsmodell wird. Insgesamt waren sich alle einig: Es bedürfe Planungssicherheit, also zukunftsfester Finanzierung und Klarheit beim Thema finanzielle Haftung, um die Verkehrswende mit vereinten Kräften zu meistern. Zumindest diese Zuverlässigkeit müsse der Bund bieten, wenn er die Verkehrswende ernstmeint und das Deutschlandticket langfristig etablieren möchte.
Podiumsdiskussion bei den Berliner Bahngesprächen, Teilnehmerinnen und Teilnehmer von links nach rechts:
- Jens Deutschendorf, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen
- Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V.
- Susanne Henckel, Staatssekretärin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr
- Kai Daubertshäuser, Vizepräsident des Bundesverbands SchienenNahverkehr
- Christiane Leonard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen e. V.
- Thorsten Müller, Vizepräsident des Bundesverbands SchienenNahverkehr
Bildnachweis: © Alexander Doehring / AVP