Infektionsrisiko im SPNV deutlich geringer als von Fahrgästen angenommen
Simulationsmodell zeigt geringes Infektionsrisiko im SPNV // Persönliche Risikobewertung steigt mit Lebensstandard // BAG-SPNV-Veranstaltung zu SPNV und Corona mit Prof. Dr. Kai Nagel und Dr. Wladimir Sgibnev
Das Risiko sich im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) mit dem Coronavirus zu infizieren, ist deutlich geringer als von der Bevölkerung wahrgenommen. Das zeigte die Veranstaltung „SPNV und Corona – zwischen Wahrscheinlichkeit und Wahrnehmung“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV (BAG-SPNV), die gestern Abend zum Auftakt der online-Reihe „Talk im Takt“ stattfand. Als Gastredner stellten Prof. Dr. Kai Nagel ein Simulationsmodell zur Ausbreitung des Coronavirus und Dr. Wladimir Sgibnev die Ergebnisse einer Befragung zum Einfluss des Virus auf das Mobilitätsverhalten vor.
Wie Prof. Dr. Kai Nagel, Fachgebietsleiter und Professor für Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik an der TU Berlin, anhand von Simulationen eindrucksvoll zeigte, ist die Wahrscheinlichkeit sich im SPNV mit dem Coronavirus zu infizieren – je nach Auslastung – um etwa den Faktor 10 bis 100 geringer als beim Besuch von Freunden. Vorausgesetzt, alle Fahrgäste halten Abstand, tragen eine Maske und ein stetiger Luftaustausch in den Fahrzeugen ist sichergestellt.
Die Wahrnehmung der Menschen ist jedoch eine deutlich andere, wie die von einer Forschergruppe um Dr. Wladimir Sgibnev, Projektleiter am Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig, durchgeführte Befragung in sechs europäischen Großstädten zeigt. Die Befragten befürchten, sich im Nahverkehr mit dem Coronavirus infizieren zu können. Zur Überraschung der Forscher besonders dann, wenn sie über einen hohen Lebens- und Bildungsstandard verfügen. Diese Fahrgäste arbeiten während der Pandemie bevorzugt im Home-office, verändern ihr Mobilitätsverhalten und weichen auf andere Verkehrsmittel aus. Wer diese Möglichkeiten nicht hat, nutzt weiter den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) – und schätzt das Infektionsrisiko deutlich niedriger ein. Diese Personengruppe kann den weniger vollen Fahrzeugen sogar positive Aspekte abgewinnen und betont, wie stressfrei und angenehm ruhig die Fahrten im ÖPNV derzeit sind.
Mobilitätsverhalten wird sich durch Coronapandemie grundlegend verändern
Nach Auffassung der Wissenschaftler können die Erfahrungen im SPNV während der Pandemie die Art und Weise, wie Menschen sich in Zukunft fortbewegen wollen, verändern. Auf die Frage von Susanne Henckel, Präsidentin der BAG-SPNV, die die Veranstaltung moderierte, welche Anstrengungen der SPNV unternehmen müsse, um die Fahrgäste nach dem Ende der Pandemie zurückzugewinnen, sagte Prof. Nagel, die Pandemie werde den Menschen lange im Gedächtnis bleiben. Die Anforderungen an die Aufenthaltsqualität im SPNV würden steigen. Dies müsse in Zukunft berücksichtigt werden. Der zunehmende Verkehr in den Städten und die Notwendigkeit einer Verkehrswende würden zu einer Rückkehr zu Auslastungszahlen wie vor Corona beitragen, argumentierte Dr. Sgibnev, und bewertete die Perspektive für eine Erholung des ÖPNV eher positiv.
Zur Veranstaltungsreihe der BAG-SPNV:
„Talk im Takt“ ist eine neue Veranstaltungsreihe der BAG-SPNV, die regelmäßig online stattfindet und aktuelle Aspekte des Nahverkehrs auf der Schiene mit Gästen aus der Branche sowie Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diskutiert. In der Auftaktveranstaltung „SPNV und Corona: Zwischen Wahrscheinlichkeit und Wahrnehmung“ stellten Prof. Dr. Kai Nagel und Dr. Wladimir Sgibnev in Impulsvorträgen ihre Erkenntnisse vor. Die Zuschauer konnten sich an Live-Umfragen beteiligen und zudem Fragen stellen.