Verbändebündnis sieht Lichtblick für ETCS-Einführung
Bundesverkehrsministerium signalisiert Kurswechsel und will Verantwortung übernehmen
Das Leit- und Sicherungssystem ETCS (European Train Control System) ist eine der wichtigsten Innovationen für das System Schiene. Lange schien es, als würde das Bundesverkehrsministerium eine aktive, koordinierende Rolle des milliardenschweren Einführungsprozesses ablehnen. Nun hat Staatssekretärin Susanne Henckel jedoch einen neuen Vorschlag unterbreitet, der die Anforderungen aus der Branche erfüllen könnte.
Die Verbände DIE GÜTERBAHNEN, mofair und der Bundesverband SchienenNahverkehr (BSN) schöpfen derzeit neue Hoffnung, dass die Leit- und Sicherungstechnik im deutschen Schienennetz technologisch im 21. Jahrhundert ankommen könnte. Über viele Monate hatte das Verkehrsministerium zu den Bitten der Verbände geschwiegen, die strategische Führung bei der überfälligen und EU-rechtlich vorgegebenen Migration des europäischen ETCS-Systems zu übernehmen. Nun legte das BMDV zum letzten „Runden Tisch Schienengüterverkehr“ am 03. März 2025 einen Vorschlag vor, der die Anforderungen formal erfüllt. Der wesentliche Durchbruch ist dabei, dass künftig eine gemeinsam abgestimmte Strategie zur Ausrüstung von Strecken und Fahrzeugen im Gleichschritt durch den Bund verantwortet werden soll. Das Verbändebündnis begrüßt besonders die Übernahme des Branchenvorschlages, eine Lenkungseinheit in Form einer gemeinsam getragenen GmbH zu organisieren. Weitere wichtige Schritte müssen nun folgen: Dazu gehört, ETCS im Zuge des Sondervermögens Infrastruktur und eines möglichen Schieneninfrastrukturfonds einzubetten und durchzufinanzieren, Umbauten auf ETCS zu erleichtern und den europäischen Genehmigungsrahmen zu verbessern. Auch müssen alle beteiligten Akteure einen technischen Standard der Fahrzeugausrüstung für die kommenden zehn Jahre fixieren, der sowohl lieferbar als auch finanzierbar ist.
Neele Wesseln, Geschäftsführerin DIE GÜTERBAHNEN: „Staatssekretärin Susanne Henckel hat signalisiert, dass der Bund die strategische Verantwortung nicht mehr an die Deutsche Bahn wegdelegieren möchte. Vielleicht kann das der lang ersehnte erste Schritt sein, das Thema in der neuen Legislatur beherzt anzupacken. Erfolg beim ETCS-Rollout werden wir nur haben, wenn Bund, Infrastrukturbetreiber, Bahnunternehmen und Hersteller an einem Strang ziehen. Für den Bund muss nun oberste Priorität haben, dem Vorsatz auch die entsprechende Finanzierung hinzuzufügen – ein Plan ohne Geld hilft sonst niemandem. Für einen neuen Verkehrsminister oder eine neue Verkehrsministerin kann ETCS ein Gewinnerthema werden – wenn das Entscheidungsvakuum auf Bundesebene mit ihm oder ihr endet. Luftschlösser, wie sie die DB InfraGO über lange Zeit gebaut hat, können wir so mit einem bodenständigen und verbindlichen Plan korrigieren.“
Dr. Matthias Stoffregen, Geschäftsführer mofair: „Wir begrüßen es sehr, wenn der Bund sich in Gestalt des Bundesverkehrsministeriums deutlich stärker als bisher auch inhaltlich einbringen wird. Angesichts der Höhe der benötigten Investitions- und Fördermittel muss er das sowieso. Er muss immer ein Auge darauf haben, dass die Steuermittel effizient eingesetzt werden. Und er allein hat die Autorität, beispielsweise bei Meinungsverschiedenheiten über die Reihenfolge der Umrüstungen eine Letztentscheidung anhand transparenter Kriterien zu treffen. Wir brauchen die umfassende Digitalisierung der Eisenbahn, um vorhandene Kapazität des Netzes besser zu nutzen und das System insgesamt zukunftsfähig zu machen. Finanzielles und inhaltliches Engagement des Bundes sind eine Grundvoraussetzung dafür.“
Jan Görnemann, Sprecher der Geschäftsführung des Bundesverbandes SchienenNahverkehr: „Gerade bei Verkehrsverträgen mit sehr langen Laufzeiten mit erheblichen Investitionen der Länder in Werkstatt- und Fahrzeuge des Schienenpersonennahverkehrs braucht es diese gemeinsame Vorgehensweise. Der Wettbewerbsfahrplan der Mitglieder des Bundesverbandes SchienenNahverkehr schaut heute bereits bis in das Jahr 2042 voraus. Vertragliche Bindungen über einen solch langen Zeitraum bieten einerseits Chancen für einen zielgerichteten Ausbau, binden bei den Ländern und ihrer Aufgabenträgerorganisationen aber auch Gelder in Milliardenhöhe. Mit diesen Steuergeldern müssen wir verantwortungsvoll umgehen.“
Der Vorschlag des BMDV sieht vor, dass die DB InfraGO zukünftig nicht allein entscheiden kann, welche Strecken mit ETCS ausgerüstet werden. Das ist wichtig, um die Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht von bestimmten Streckenabschnitten „abzukoppeln“, ohne dass dies mit der Branche selbst diskutiert wurde. Andersherum soll Verbindlichkeit geschaffen werden, dass geplante Strecken auch tatsächlich zeitnah ausgerüstet werden – ohne diese Sicherheit müssten die Unternehmen befürchten, Fahrzeuge mit jahre- oder sogar jahrzehntelangem Vorlauf auszurüsten, ohne dass die Strecken die entsprechende ETCS-Infrastruktur aufweisen. Dieser Gleichschritt wird für die nächsten Jahre und Jahrzehnte entscheidend sein, damit Investitionen in die Digitalisierung von Strecken und Fahrzeugen gleichberechtigt und auf Augenhöhe aller Nutzer und Nutzerinnen der bundeseigenen Schieneninfrastruktur erfolgen.
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